Bikepacking: Alpenüberquerung durch die Schweiz: Nord-Süd-Route/Eurovelo 5
Mit dem Rad die Alpen zu durchqueren ist immer etwas ganz Besonders. Und irgendwie hat es mich süchtig gemacht, mich die Pässe hoch zu quälen, zwischen den Bergen aufzuwachen und die weiten Aussichten zu genießen. Nachdem ich 2022 den Alpe-Adria-Radweg von Salzburg nach Travisio gefahren bin, war klar: In die Alpen MUSS es dieses Jahr wieder gehen. Schnell hatte ich mir den Eurovelo 5 als diesjährige Alpenüberquerung ausgesucht.
Die Vorbereitung: Training, Planung, Ausrüstung
Ehrlich gesagt habe ich bis zur letzten Sekunde gezweifelt, ob ich fit genug bin, um den Eurovelo 5 zu fahren. Es geht von Basel aus über den Gotthardpass nach Italien, idealerweise bis nach Mailand. 4.540hm und 412km spukte mir Komoot aus. Ob ich diese Alpenüberquerung schaffen werde? Im Vorfeld war ich viel krank und daher bis auf eine Test-Tour ein paar Wochen vorher völlig aus dem Langstrecken-Training. Ich habe mich darauf konzentriert im flachen Köln so viele Höhenmeter zu sammeln wie möglich.
Nachdem ich auf der Heuvelroute die unschöne Erfahrung gemacht habe, dass es nicht in jedem Dorf einen Campingplatz gibt und ich in der Schweiz auf gar keinen Fall auf ein Hotel ausweichen wollte (ich hatte Angst vor den Schweizer Hotel-Preisen), habe ich mir alle 50km einen Zeltplatz herausgesucht und so die Etappen zumindest grob geplant. So habe ich herausgefunden, dass auf den ersten 100km genau zwei Campingplätze liegen: Einer direkt am Anfang in Basel und einer am Ende am Sempachersee. Und auch am Ende in Italien ist die Campingplatz-Dichte gering. So habe ich direkt damit geplant am ersten Tag nur bis zum Campingplatz zu fahren, auch wenn es mir wie ein verschenkter Tag vorkam.
Und ansonsten deckte ich mich mit Snacks und ein paar Lebensmitteln ein, denn die Schweiz ist teuer. Meine Ausrüstung steht seit letztem Jahr. Ich habe noch ordentlich aussortiert und die Alltagskleidung Zuhause gelassen – dafür durften dicke Wollsocken mit – die wirklich Gold wert waren.
Alpenüberquerung: In einer Woche mit dem Rad durch die Schweiz
Etappe 1: Basel – Kaiseraugst
Tageskilometer: 22km; Campingplatz: Campingplatz Kaiseraugst
Zählt das schon als erste Etappe? Los ging’s am Bahnhof in Basel – der Eurovelo 5 war direkt gut ausgeschildert und es ging den Rhein stromaufwärts aus der Stadt heraus. Es ging an Industrie und Gewerbegebieten vorbei und dann war’s auch schon vorbei: Nach rund 20km schlug ich schon mein Zelt auf dem Campingplatz in Kaiseraugst auf. Abendessen gab’s bei Ikea, wo ich ein paar Dinge kaufte, die ich vergessen hatte. Wusstet ihr, dass es bei Ikea USB-Kabel gibt? Ich vorher auch nicht.
Etappe 2: Kaiseraugst – Sempachersee
Tageskilometer: 89km; Campingplatz: TCS Camping Sempach
Irgendwie lag ein Fluch auf dem Start dieser Tour. Erst hatte ich alle möglichen USB-Kabel vergessen, die ich dann notdürftig bei IKEA kaufte, dann war die erste Nacht im Zelt unsagbar kalt und ich daher hundemüde. Dann vergriff ich mich im Supermarkt und frühstückte ein Brötchen mit Speck (nein, das waren keine Nüsse….). Mir war den halben Tag flau und ich kam einfach nicht so richtig ins Unterwegs-Sein rein. Die ersten Steigungen ließen mich sehr an meiner Fitness zweifeln.
Aber wir das bei mir immer so ist: Kaum sehe ich das erste Mal die Schnee-bedecken Gipfel der Alpen ist all das wieder vergessen. Und zum Glück ging es am Nachmittag auch größtenteils runter. Am Sempacher See schlug ich mein Zelt auf einem Campingplatz direkt am See auf.
Etappe 3: Sempachersee – Sisikon
Tageskilometer: 60km; Campingplatz: Camping Bucheli
Die Wolken hingen an diesem Tag tief über dem See. Der Wetterbericht sagte Regen für den Morgen voraus. Auch das noch. Ich entschied mich, den Morgen also entspannt anzugehen und holte bei den ersten Regentropfen meine frisch gewaschene und noch nasse Wäsche ins Zelt. Hier saß ich nun mit einem Babygläschen und einem Tee zwischen Sport-BH und Socken.
Irgendwann hörte das Prasseln auf dem Zelt auf, ich packte fix alles zusammen und fuhr los. Natürlich nicht, ohne mich beim ersten Bäcker mit Schokocroissants einzudecken. Und dann folgte wahrscheinlich einer der schönsten Abschnitte der Tour: Nachdem ich Luzern durchquert hatte (ohne die Stadt als solches wirklich wahrzunehmen), führte mich der Eurovelo 5 an den Vierwaldstättersee. Einer der schönsten Orte, die ich bisher gesehen habe. Ungelogen. Der Weg schlängelte sich am Ufer entlang und steuerte schlussendlich zielsicher auf eine Fähre zu. Kurz war ich verwirrt, ob das denn so alles seine Richtigkeit hat, aber ja: Die Nord-Süd-Route überquert bei Beckenried den See.
Traumhaft geht es auf der anderen Uferseite ab Gersau weiter. Die Palmen am Ufer erinnern an Italien. Bis nach Brunnen folge ich dem Ufer. Kurz hinter der Stadt sind die Rad-Weg-Schilder durchgestrichen, verwirrt schaue ich mich um. Ein Mann an einem Bus mit Radanhänger winkt mir demonstrativ zu. Ich fahre zu ihm, er erzählt, dass die Strecke für Räder gesperrt ist und ich schnell einsteigen soll. mein Rad ist schneller verladen, als ich gucken kann. Verwirrt frage ich, ob der nach Sisikon fährt, denn da ist mein Zeltplatz. Eigentlich nicht, aber er mache eine Ausnahme, da ich die Einzige sei. Schnell fahren wir durch die engen Tunnel der Uferstraße und ich bin froh, dass ich im sicheren Bus sitze. Wie abgesprochen werde ich am Zeltplatz rausgeworfen.
In Sisikon baue ich mein Zelt auf und beschließe, dass kurz Urlaub ist: Ich hole mir im kleinen Selbstbedienungsladen ein Eis und sitze damit eine Weile zufrieden am Ufer des Vierwaldstättersees. Kaum zu glauben, dass alles so wunderschön ist.
Etappe 4: Sisikon – Andermatt
Tageskilometer: 45km; Campingplatz: Gotthard Camping
Diese Etappe war eigentlich als halbe Pausen-Tag-Etappe geplant. Extra kurz mit knapp 50km. Denn als 5. Etappe war der Gotthardpass dran und davor wollte ich mich eigentlich nicht so verausgaben. Eigentlich. Denn, was ich erst am Morgen der 4 Etappe realisierte: Andermatt liegt schon ganz schön hoch. Nämlich auf 1.437m. Knapp 900hm lagen vor mir. Damit hatte ich nicht gerechnet.
Aber zunächst war Staunen angesagt: Kurz nach Sisikon führt der Radweg über die alte Axenstraße, eine Straße, die vor Jahrzehnten in die steile Felswand gehauen wurde. Links Felswand, Rechts Vierwaldstättersee. Wow. Mittlerweile gibt es daneben ein Stück tiefer im Fels die neue Axenstraße, die für den Autoverkehr gedacht ist. Die alte Axenstraße ist ganz allein Radweg. Vor einiger Zeit hatte ich von diesem Ort ein Foto auf Instagram gesehen. Die Realität war dann doch noch viel beeindruckender: Definitiv das Highlight dieser Alpenüberquerung.
Kaum hatte ich den Vierwaldstättersee hinter mir gelassen, ging es die Reuss immer flussaufwärts. Teilweise teilte ich mir das Tal nicht nur mit dem Fluss, sondern auch mit der Autobahn. Ganz schön praktisch war, dass ich sogar einen Rasthof nutzen konnte, um eine kurze Pinkel-Pause einzulegen.
Jo und dann ging der Weg auf die Landstraße, die hier natürlich ziemlich steil und kurvenreich ist. Die Höhenmeter hauten rein, es war bereits schon recht warm und ich war irgendwie erleichtert, als in Göschenen das Schild kam, das Radfahrer*innen vor der Weiterfahrt warnt: Der Verkehr ist auf den nächsten Kilometern zu gefährlich. Es wird eine Bahnfahrt empfohlen. Ich war einige Minuten unentschlossen, es fühlte sich nach Aufgeben an. Aber ich musste mir auch eingestehen, dass ich definitiv zu wenig gegessen hatte, es äußert warm war und ich zumindest aktuell keinen Hügel mehr hochkomme. Also ab in die Bahn.
In Andermatt habe ich dann mein Zelt auf einer großen Wiese neben vielen anderen Radreisenden aufgeschlagen Die Dusche war in der Talstation eines Ski-Lifts. Abends gab’s Radreise-Nerdtalk, Käsespätzle und Puddingteilchen.
Etappe 5: Andermatt – Chiggiogna
Tageskilometer: 46km; Campingplatz: Camping Gottardo
Vor der Nacht in Andermatt hatte ich ehrlich gesagt etwas Angst: Dadurch das Andermatt sehr hoch ist, fallen nachts die Temperaturen selbst im August auf 6°C. Die Komfort-Temperatur meines Schlafsacks reicht bis 6°C. Und da ich in den Nächten davor schon gefroren habe, stellte ich mich auf eins ein: Frieren. Ich zog alles an, was ich hatte. Und wurde überrascht: Es war zwar kalt, aber ich konnte trotzdem ausreichend schlafen. So wachte ich fit auf.
Mein erster Stop war der Supermarkt in Andermatt, wo ich mich mit Schokocroissants, Eistee und den berühmt berüchtigten Power-Bananen eindeckte. Und dann ging es auf die Pass-Straße. Es war noch früh und der Verkehr kaum vorhanden. Sobald ich in den Tritt gekommen war, war die Strecke traumhaft. Diese karge Berglandschaft beeindruckt mich immer wieder. Doch irgendwann wurde es wirklich anstrengend und heiß. Doch die alte Passstraße, auf der kaum Autos fahren, war nicht mehr weit. Auch das Kopfsteinpflaster war überhaupt nicht schlimm. Und am Ende war ich dann doch schneller auf dem Gotthard-Pass als gedacht. Am höchsten Punkt meiner Alpenüberquerung gab es Cola zur Belohnung und dann ging’s abwärts. Irgendwie ganz schön unspektakulär Wieder über Kopfsteinpflaster. Während ich auf dem Staunen nicht mehr herauskam, nahm ich Serpentine nach Serpentine und war froh, dass ich das nicht hochfahren muss.
Ich kehrte erleichtert in Chiggiogna auf einen Campingplatz ein und es war kurz Urlaub: Der Campingplatz hatte einen Pool. So lag ich den Nachmittag am Pool und aß ein paar Kekse.
Etappe 6: Chiggiogna – Agno
Tageskilometer: 85km; Campingplatz: TCS Lugano-Muzzano
Wie warm die Nacht plötzlich wieder ist, wenn man nicht auf 1437m schläft. Die Nacht war schwierig, es hatte einen Bahn-Unfall im Gotthard-Basis-Tunnel gegeben, woraufhin der Tunnel gesperrt wurde. Genau das war meine Rückreise-Route. Bahnfahren mit Fahrrad stresst mich bekanntermaßen, seit ich in Wien mal ein sehr unschönes Fahrrad-in-Bahn-Erlebnis hatte. Dementsprechend unentspannt war ich, wenn ich nicht gerade Rad fuhr. Ich versorgte mich mit einem Cappuccino und einem Croissant von der Bäckerei des Campingplatztes, genoss noch kurz die Ruhe am frühen Morgen und dann ging’s los: Runter, runter, runter.
Ich durchquerte kleine Dörfer, überall lachte mich Italienisch an und überhaupt, fühlte es sich schon nach Italien an. Es war warm und die Landschaft dümpelte so an mir vorbei. Ich finde, die Abfahrt ist immer etwas zu unspektakulär, wenn man zuvor in die Alpen war. Ich streifte den Lago Maggiore, quälte mich über einen unspektakulären Pass und erreichte dann den Lago di Lugano, wo ich auf einem Campingplatz direkt am Seeufer mein Zelt aufschlug. Irgendwie spooky, dass ich die ganze Nacht die einzige Radreisende geblieben bin.
Etappe 7: Agno – Como
Tageskilometer: 46km; Hostel: Montarina (in Lugano)
Die Gedanken an die unklare Rückreise hielten mich nachts wach und so kam es, dass ich ziemlich unerholt und erschöpft früh aufwachte. Machste nix. Ich hatte keine Ruhe, packte schnell zusammen und fuhr durch die Menschen-leere Touristen-Region am Ufer des Lago du Lugano. Es war Sonntag Morgen, die Straßen ausgestorben, nur andere Radfahrer*innen kamen mir entgegen. Es war schön, aber irgendwie wurde ich mit der Gegend nicht warm: Das Ufer war meist mit Häusern zugebaut, sodass es kam Stellen gab, wo man einfach nur da sitzen und auf’s Wasser schauen konnte.
In Travisio verfranzte ich mich so richtig: Als Grenzstadt endet hier die Schweizer-Beschilderung des Eurovelo 5 am Bahnhof, was ich aber erst nicht so ganz verstand. Nachdem ich ein paar Runden im Kreis gefahren bin und realisierte, dass es keine Beschilderung nach dem Bahnhof gab, fuhr ich einfach der Beschilderung für die Autos in Richtung Como hinterher. Als ich mich schon wieder wunderte, warum plötzlich alles so ranzig aussah, realisierte ich: Das ist die Grenze zu Italien. Schnell ein Selfie und weiter.
Gegen Mittag kam ich in Como an. Hier ließ ich mich auf die erstbeste Bank im Schatten fallen und aß erstmal meinen restlichen Proviant auf. Die Straßen waren voller Autos, die Gehwege voller Touris. An einem Sonntag-Mittag in so einer Touri-Region anzukommen war keine gute Idee nach der Woche Einsamkeit in den Bergen.
Und dann fiel in Windeseile die Entscheidung: Ich werde nicht mehr weiter fahren. Ich bin müde, auf der Strecke bis nach Mailand gibt’s keine Zeltplätze mehr und auf eine richtige Stadt hatte ich auch keine Lust. Das war das Ende meiner Alpenüberquerung. Ich buchte mir in Lugano ein Hostel-Bett, fuhr in Como zum Bahnhof und ließ mich vom Zug die ganze Strecke, die ich gefahren bin, zurück fahren. Im Zug wurde mir klar: Das war die richtige Entscheidung. Ich bin zu erschöpft um noch signifikant Kilometer zu machen.
In Lugano war’s dann für einen halben Tag wirklich Urlaub: Ich aß Eis und Pasta und zog im Hostel-Pool ein paar Bahnen. Ich ging früh schlafen, um am nächsten Tag wieder früh aufzustehen, zum Bahnhof zu fahren und nach Hause zu fahren.
Anreise und Abreise mit der Bahn
Ich habe mir im Vorfeld für die Hin- und Rückreise ein Ticket für die Strecke Köln-Basel gekauft. Meine Hinreise war easy: Während der Hauptsaison stehen am Kölner HBF „Einsteige-Helfer“, die Menschen, die Hilfe beim Einsteigen brauchen, helfen. Da war ich schon sehr erleichtert. Und da Basel der Endbahnhof ist, ist das Aussteigen ebenso leicht. Die Beschilderung des Eurovelo 5 beginnt direkt am Bahnhof in Basel.
Auch die Rückfahrt war easy: Ich hatte ziemliche Bauchschmerzen, wegen der ganzen Unfall-Tunnel-Gesperrt-Geschichte. Aber es lief alles glatt: Der Zug wurde umgeleitet, es war genug Platz für mein Fahrrad da, ich konnte die Reservierungsgebühr (die man eigentlich im Vorfeld bezahlen muss), on Board bezahlen und kam am Ende gut in Basel an, wo ich noch eine Nacht schlief. Auch am nächsten Tag war’s easy: Der Zur in Köln hatte in Basel eine halbe Stunde (!) Aufenthalt, sodass ich auch hier ganz entspannt einsteigen konnte, ohne Angst zu haben, dass mir der Zug beim Einsteigen weg fährt.
Alpenüberquerung – Einfach machen!
Alpenüberquerung – das ist ein ziemlich großes Wort. Es erfüllt mich immer wieder mit Ehrfurcht. So ein riesiges Gebirge aus eigener Kraft zu überqueren. Wow. Aber, irgendwie ist es am Ende auch gar nicht so wild. Daher: Wenn du mit dem Gedanken spielst, die Alpen mit dem Rad zu überqueren: Einfach machen! Wenn dir der Gotthardpass/Eurovelo 5 zu schwer erscheint, dann gibt es z.B. den Alpe Adria Radweg (Teil 1) als leichtere Alternativen.
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